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Interview mit Plamen Kartaloff, Regisseur des „Ring des Nibelungen“ in Sofia - 29.6.2013

Entwicklung der Visualität aus der Partitur heraus…

In einem Gespräch, das ich mit Plamen Kartaloff anlässlich der zyklischen Aufführung seiner „Ring“-Produktion an der Sofia Oper und Ballett führte, wollte ich Näheres über das Zustandekommen dieses ersten „Ring des Nibelungen“ in Sofia und auf dem Balkan überhaupt wissen. Vor der „Götterdämmerung“ gab er mir zusammen mit seinem Direktor für Marketing und Werbung, Dimitar Bardarsky, dazu Gelegenheit. Dieser dolmetschte das Gespräch auch von Englisch in Bulgarisch.

Wie kam er zu Wagner?

Es war der Sommer 1970. Acad. Plamen Kartaloff, mittlerweile seit vielen Jahren Direktor der Sofia Oper und Ballett, war in Bayreuth bei den Festspielen und hatte dort seine erste „Begegnung“ mit Richard Wagner, damals natürlich als Mitglied des Jugend-Festspieltreffens. Sie wurde ausschlaggebend für seine Berufswahl als Regisseur. 1974 war er nochmals in Bayreuth und sah während beider Besuche „Lohengrin“, „Götterdämmerung“ und „Parsifal“. Er war total beeindruckt von den Festspielen und beschloss, ein eigenes bulgarisches Operntheater zu gründen, vor allem mit jungen Sängern. Mit einigen Opern und zunächst nur einem Klavier wanderte er durch Bulgarien und machte Oper im Kleinformat. Damals studierte er auch Komposition. In noch jungen Jahren inszenierte er die Oper „List und Liebe“, eine komische Oper in zwei Akten von J. Haydn. Er bekam sofort ein Jobangebot, wollte aber seinen eigenen Weg mit der Operntour weiter gehen. In einem alten Bus ging es über die Lande. Eine staatliche Agentur finanzierte das Unternehmen, er war der Manager. Man zeigte „List und Liebe“, „Die Entführung aus dem Serail“, „Der Apotheker“ von Haydn, auch Gluck und Monteverdi. Nun, 40 Jahre später und nach langer Erfahrung mit über 100 Produktionen, erinnert Plamen Kartaloff sich gern daran zurück. Damals muss ihm die Oper in Fleisch und Blut übergegangen sein, so wir er das schildert…

Und wie kam es zum „Ring“ in Sofia?

Der Gedanke, den „Ring“ in Sofia zu schmieden, beginnend mit dem „Rheingold“ im Jahre 2010, nahm Gestalt an. Dabei spielten seine frühen Bayreuth-Erlebnisse natürlich eine Rolle. Immerhin hatte er schon 2009 die „Salome“ von Richard Strauss in Sofia zur Aufführung gebracht. Bei einem Essen mit dem österreichischen Produzenten legte Kartaloff ihm damals seine Idee dar, ein eigenes neues Publikum zu kreieren, vor allem junge Leute, und mit einem konsistenten Repertoire. Gerade hatte „Das Rheingold“ in Wien in der Inszenierung von Sven-Eric Bechtolf Premiere, und so empfahl ihm der Österreicher, dieses Werk in Sofia zu bringen - man könne es als eine Geschichte für Menschen jeden Alters sehen. Eine schlaflose Nacht folgte, aber der Stachel saß tief - wie jener, den Wotan in seinem Dialog mit Erda im „Siegfried“ besingt... Immerhin hatte Wagner ihm ja die Inspiration für seinen Beruf gegeben.

Also entschied Plamen Kartaloff: Nicht nur „Das Rheingold“ sondern die ganze Tetralogie! Und das nur mit bulgarischen Sängern und Sängerinnen, die schon länger gut das italienische und russische Repertoire sangen. So wählte er nach einem internen Wettbewerb die besten aus und fand in Richard Trimborn einen ausgezeichneten deutschen Experten und Coach für die SängerInnen und ihr Deutschverständnis. Er bekam auch die finanziellen Mittel, ließ adäquate Instrumente anschaffen und vertraute auf die ohnehin gute Qualität des Chores, des Balletts, der technischen Dienste und Werkstätten. Und so entstand nach 125 Jahren bulgarischer Operntradition der erste komplette „Ring“ auf dem Balkan. Und alle vier Stücke mit einheimischen Mitteln - eine wahrlich heroische Arbeit über vier Jahre! Und man merkt, dass Plamen Kartaloff stolz darauf ist, dieses große und so lang ersehnte Projekt geschafft zu haben. Er sieht sich dabei auch auf einer Mission, junge SängerInnen zu entdecken und zu fördern, wie auch andere junge Künstler, die das Operntheater braucht.

Seine Zusammenarbeit mit Bühnenbildner und Kostümdesigner Nikolay Panayotov beim „Ring des Nibelungen“ in Sofia.

Es war für Plamen Kartaloff ganz wichtig, für Bühnenbild und Kostüme einen Künstler zu finden, der durch Theaterarbeit zuvor noch nicht in der einen oder anderen Richtung geprägt war. Er selbst hatte ja die langjährige Opernerfahrung und auch die wünschenswerten Musikkenntnise, wie die mir im Laufe des Gesprächs gezeigte „Ring“-Partitur voller Bleistiftanmerkungen Takt für Takt, sowie parallele Aufzeichnungen, wie die jeweilige Szene schließlich auf der Bühne optisch und dramaturgisch in völliger Übereinstimmung mit der Partitur umzusetzen sei, eindrücklich belegten. Der Maler Nikolay Panayotov, der mit diesem „Ring“ seine erste Theaterarbeit machte, war dafür genau der richtige Mann. Er entwarf einige wenige Requisiten, die man von Szene zu Szene variieren konnte und mit der entsprechenden fantasievollen Kostümierung, die häufig selbst in ein- und demselben Stück wechselte, kontinuierlich neue Situationen schaffen konnten, ohne den Vorhang schließen zu müssen. Von Beginn an sollten langatmige statische Szenen vermieden werden. Dazu entwickelte Kartaloff ein scoreboard und nahm facettenreiches Multimedia Design sowie eine perfekt darauf abgestimmte Lichtregie dazu. Auf diese Weise konnte mit viel Metaphorik ausdrucksstarkes und bewegtes Musiktheater erzielt werden. Kartaloff entwickelte mit Panayotov gewissermaßen das Visuelle aus der Partitur und ist stets - meines Erachtens sehr erfolgreich - bemüht, eine Klammer um alle vier Abende zu spannen. Man möchte sich wünschen, dass dieses offenbar exzellent aufeinander abgestimmte Double weiter Musiktheater-Projekte ins Auge fasst, hoffentlich auch im Ausland.

Klaus Billand, Wien (www.klaus-billand.com)

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