Offenbar nehmen die Versuche, das opus magnum Richard Wagners, seinen etwa 16- stündigen „Ring des Nibelungen“ in kürzeren Fassungen herauszubringen, weiter zu. Nachdem das Teatro Colón in Buenos Aires nach dem abrupten Ausstieg von Katharina Wagner im November letzten Jahres mehr oder weniger in Eigenregie mit der Regisseurin Valentina Carrasco die eintägige, über siebenstündige Kurzfassung des deutschen Musikers und Produzenten Cord Garben unter der musikalischen Leitung von Roberto Paternostro aufgeführt hatte (Merker 12/2012 und 01/2013), legte nun die Opéra de Dijon mit einer etwas weniger gekürzten Version für zwei Abende nach. Schon vor über 20 Jahren wurde de „Ring“ in einer Kurzfassung von David Seaman mit großem Erfolg an der Nürnberger Pocket Opera Company erstmals und in diesem Sommer in der Regie von Philippe Arlaud an der Städtischen Musikschule Bayreuth aufgeführt (Merker 08+09/2013). Dabei handelte es ich aber um eine orchestral reduzierte Version mit einem nur 18-köpfigen Ensemble. Bereits 1994 wurde im isländischen Reykjavik eine Kurzfassung des „Ring“, an einem Abend, inszeniert - in Zusammenarbeit mit Wolfgang Wagner, der auch künstlerischer Berater der Produktion war. In Strasbourg gab es vor einigen Jahren, ebenfalls mit einem nur 17-köpfigen Orchester, eine stark gekürzte Version des „Ring“, die vom Festival Musica-Strasbourg in der Regie von Antoine Gindt verwirklicht wurde und sich „Ring Saga“ nannte. Loriots „Ring an einem Abend“, der durch die begleitenden Texte eher humoristischen Charakter hat, sei hier nur am Rande erwähnt.
Das Leading Team des „Ring“ an der Opéra de Dijon mit dem Komponisten Brice Pauset (Komposition zweier kurzer Stücke vor den beiden Abenden und Kompositionen der Übergänge bei den diversen Strichen), Laurent Joyeux, Regie, und Stephen Sazio, Dramaturgie und Regie-Mitarbeit, hatte ihr Konzept unter der Moderation von Hans Melderis (nach Absage von Jürgen Flimm) bereits Mitte Januar in Berlin vorgestellt. Der Rezensent wohnte dieser Präsentation bei. Die jeweilige Gesamtspielzeit betrug für „Das Rheingold“ und „Die Walküre“ am 1. und für „Siegfried“ und „Götterdämmerung“ am 2. Abend 280 Minuten plus 90 Minuten Pause, bei einem Spielbeginn um 16 Uhr. Der „Ring“ wurde also de facto um etwa sechs Stunden gekürzt, weit weniger als in Buenos Aires - doch auch weit weniger zufriedenstellend, wie noch zu sehen sein wird. Der Dijon-„Ring“ ist aber von allen o.g. Varianten am ehesten mit dem ColónRing zu vergleichen, da beide mit vollen Orchesterbesetzungen gespielt wurden.
Ganz anders als Cord Garben beim ColónRing nahmen Pauset und Joyeux in Dijon die Kürzungen vor. Während Garben keine Note, beispielsweise um Übergänge zu glätten, hinzu komponierte, und blockartig voneinander abgesetzte, kompositorisch in sich geschlossene Szenen strich, stellte man in Dijon die Frage: „Was gehört in einen Kurz-„Ring“ unbedingt hinein?“ und arrangierte so die einzelnen Szenen(-ausschnitte) nach ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen dramaturgischen Relevanz. Dabei gab es dann natürlich musikalische Brüche bei den Übergängen, beachtliche Störungen der Harmonie, insbesondere bei den mit einer solchen Vorgehensweise zwangsläufig verbundenen Tonartenwechseln. Und es waren die Kompositionsversuche - denn anders kann man es kaum nennen - von Brice Pauset, die immer wieder zu störenden Tonformationen führten, die durch ihre Aufgesetztheit und Andersartigkeit negativ aus dem musikalischen Duktus Wagners heraus fielen. In den Pausen hörte man von sachkundigen Besuchern nicht nur einmal das harte Wort „Mutilation“ - Verstümmelung.
Auch die kurzen Stücke vor den beiden Abenden konnten nicht wirklich als Gewinn für diese Kurzfassung überzeugen, zumindest nicht musikalisch. Im ersten, benannt „Die Alte Frau“ komponiert von Brise Pauset nach einem Libretto von Stephen Sazio, gewahrt man im Dunkel der Riesenbühne des Auditoriums von Dijon eine alte Frau, die offenbar in die Erinnerungen ihres wohl langen Lebens versunken ist. Requisiten aus der „Ring“-Tetralogie stehen in ihrem Bücherregal. Die wichtigste darunter ist ein großer alter Band mit einem eisernen Ring auf dem Buchdeckel. Langsam nähert sich ein Mann, der sich später als Alberich herausstellt, aber genauso gut auch Wotan sein könnte, und will von ihr den Gang der Welt erfahren, wie es weiter gehen könnte, also dieses Buch als Schlüssel dazu erhalten. Ihre Erinnerungen und Weisheit verlieren sich immer mehr, bis sie am Ende eher unwillentlich das Buch herausgibt. Er entnimmt ihm den Ring - die Geschichte kann (wieder…) beginnen. Ein Rabe als Statist beobachtet mysteriös das Geschehen. Als Einführung strahlt die Handlung eine gewisse Magie aus, aber die musikalische oder - besser gesagt - tonale Untermalung lässt wenig Wohlgefallen aufkommen - insbesondere, wenn man an die herrliche „Ring"-Musik denkt und die Erwartung des Beginns des „Rheingold“- Vorspiels immer drängender wird… Diese Szene ist mit fast 30 Minuten auch zu lang.
Im zweiten Stück vor „Siegfried“ und „Götterdämmerung“ erlebt man „Die Drei Nornen“ in einer Komposition von Brice Pauset mit kompositorischen Elementen von Richard Wagner und dessen nicht vertontem Libretto. Indem sie mit von der Bühnendecke herabhängenden Seilen, dem Nornenseil, hantieren, erzählen die drei Schicksalsgöttinnen vom Lauf der Zeit und ihrer Erwartung an die Zukunft. „Im Osten wob ich. - Im Westen wand ich. - Nach Norden werf’ ich. Was wandest Du im Westen? - Was wobest Du im Osten?“ usw. Auch diese Szene erschien, vornehmlich aufgrund ihrer tonalen Gestaltung, mit 20 Minuten zu lang, war aber dramaturgisch zwingender als die erste, wohl auch wegen des zielführenderen Librettos von Richard Wagner. Insgesamt ist aber zu sagen, dass dieser Kurz-„Ring“ auch gut ohne diese beiden Stücke ausgekommen wäre - Wagner bedarf einfach keiner Zusätze, es ist doch alles in seinem Werk immanent vorhanden. Aber hält er so viele substanzielle Striche aus wie in Dijon?
Immerhin hatte das Regieteam für diesen „Ring“ ein gar nicht uninteressantes Konzept, wenngleich es szenisch und vor allem dramaturgisch, zumal im „Siegfried“, nicht immer aufgeht. Zunächst einmal bestätigen sie in einer „Note d’intention“ im dicken Programmheft, dass der dem „Ring“ innewohnende Mythos auch für sie von Bedeutung sei, aber aus einer Perspektive unserer Tage und Zivilisation gesehen werden soll. Man will insbesondere seine poetische Dimension aufdecken, die unverbrüchlich mit der europäischen Kulturgeschichte verknüpft ist. So wählte man einen neuen dramaturgischen Ansatz zur „Ring“-Interpretation, der einerseits dessen revolutionären Gehalt und poetische Macht betont, andererseits mit der Kondensierung der plastischen Bilder den zeitlosen und universalen Charakter der Botschaft Wagners herausstellt, die sich symbolisch oder mythisch äußert. Das Medium, durch welches dieses Regiekonzept umgesetzt wird, ist das Buch. Ohne das Buch als Errungenschaft der europäischen Kulturgeschichte - und damit ohne die Dichter - ist für Pauset und Joyeux die Welt nur ein Schatten ihrer selbst: „La Renaissance n’est possible que par le livre.“ („Die Renaissance/Wiedergeburt ist nur durch das Buch möglich“).
So sehen wir ein riesiges, über weite Teile beider Abende die hintere Bühne beherrschendes Bücherregal von Damien Caille-Perret, welches aufgrund seines Giebels und der den Raum immer wieder variierenden Scherwände davor stark an das Bayreuther Festspielhaus erinnert - das alles bei einer meist einfallsreichen Lichtregie von Jean-Pascal Pracht. Im Vordergrund steht die Zirkulation und Verbreiterung der Weisheit und des Wissens, insbesondere durch die Beziehung zwischen Wotan, dem Träger intellektueller, reflexiver und politischer Erkenntnis, und Brünnhilde, die mit ihrem Mitleid für Siegmund und durch ihr eigenes Opfer eine emotionale, intuitive und poetische Weisheit erlangt, die ihr Vater unmittelbar bemerkt. Im Mittelpunkt dieser Beziehung wird Siegfried als eine Figur gesehen, der sein zunächst eher violentes Lebens in ein künstlerisch schöpferisches verwandelt und schließlich einen poetischen Tod sterben wird. Er braucht dazu nicht Hagens Trank, den er vergießt, er braucht lediglich das Buch hinter sich zu werfen, in dem die Aufzeichnungen der Liebe zwischen ihm und Brünnhilde enthalten sind…
Überall gewahrt man Bücher, sogar die Riesen im „Rheingold“ erscheinen auf Bücherbergen. Siegmund trägt stets einige Bücher im Rucksack mit sich herum, die vom unkultivierten Hunding bei einem Sicherheitscheck ebenso achtlos zu Boden geworfen werden wie eine von Gutrune wahllos aus einem Buch gerissene Seite, mit der sie sich den Lippenstift abwischt. Folgerichtig ist bei den Gibichungen das große Regal auch leer und verfallen. Ihre niveaulose merkantile Macht besteht nur noch aus riesigen Papierrollen, die man zu Büchern verarbeiten könnte, wenn man nur die Kultur und Bildung dazu hätte… Es reicht gerade noch zu einem Gibich-Universallexikon. Im „Rheingold“ sah man hingegen noch vermutlich - wenn auch fingierte - inhaltsvollere Belletristik mit passenden Titeln wie „Mein“ von einem Marco Lenvy, oder „Nur Das“ von einem Friedrich Bierbacher und ähnliches. Etwas schwierig gestaltet sich die Buch-Idee bei Siegfried, als der gute Held damit kaum ein Schwert schmieden kann und bei den Schmiedeliedern nur mit ein paar Buchstaben aus dem Puzzle- Kasten hantiert. Unglaublich, dass der Sänger dabei durchgehend sitzen muss! Auch Mime hat allzu viele Bücher auf dem Tisch, die bei seiner chemisch dampfenden Braukunst des Betäubungstrankes wenig Sinn machen.
Lesestoff findet sich aber auch in ungebundener Form. So bilden sechs aus unbeschriebenen weißen Buchseiten bestehende Bäume das Bühnenbild in der „Walküre“, sozusagen ein papierner Wonnemond mit literarischer Option. Im 2. Aufzug „Siegfried“ hängen diese dann auf dem Kopf, und im 3. Aufzug „Götterdämmerung“ hängen an ihren Ästen nur noch ein paar Papierschnitzel - die kultivierte Bücherwelt geht ihrem Ende entgegen. Ein sehr schönes mythisches Bild gelingt mit einem riesigen, vielfach vernetzten Seilknäuel in der Erda-Szene des „Siegfried“, wie auch immer wieder sehr menschliche Momente zu erleben sind und im Prinzip eine gute Personenregie stattfindet. Besonders bleibt Siegfrieds Sterbeszene im Gedächtnis, bei der Brünnhilde bei ihm ist. Sie wird in der „Walküre“ auf einem riesigen weißen Papierflügel zur Ruhe gebettet. Da er wenig zum Schreiben taugt, hat sie ein Notizbuch dabei, welches in der Schlussszene des „Siegfried“ von beiden allzu häufig handlungshemmend beschrieben wird. In solchen Momenten zeigt das Regiekonzept eine überflüssige Detailverliebtheit und Kopflastigkeit, die von der beabsichtigten großen Linie wegführt. In der „Götterdämmerung“ ist dieser Flügel dann völlig gerupft. Loge legt fast genau wie im ColónRing ein paar Teelichter als Feuerzauber vor und auf den Flügel, déjàvu… Eine große Reise-Ledertasche, die Brünnhilde von Oper zu Oper mitschleppt, wirkt ständig deplaziert. Kostüme und Maske werden jedoch ansprechend und fantasievoll von Claudia Jenatsch gestaltet.
Gesanglich war der Dijon-„Ring“ durchwachsen. Der noch relativ junge Daniel Brenna, der letztes Jahr in den „Soldaten“ in Salzburg auf sich aufmerksam nachte, debütierte in Dijon mit seinem ersten französischen Siegfried und sang dazu auch gleich noch die - freilich - verkürzten Rollen des Siegmund und „Götterdämmerung“-Siegfried. Brenna hat zweifellos großes stimmliches Material mit heldischem Aplomb. Er singt mit Prägnanz und klar, bei durchweg guter Wortdeutlichkeit. Gelegentlich kam es bei den dramatischeren Höhen zu einer gewissen Überbeanspruchung. Das mag auch der enormen stimmlichen Belastung mit den drei Rollen in nur zwei Tagen geschuldet sein, ohnehin ein gewisses Abenteuer - und das gleich dreimal zyklisch in 10 Tagen! Mit seinem engagierten und feinfühligen Spiel vermag Brenna unmittelbar Sympathie zu erzeugen und findet sich offenbar bestens in die jeweiligen Rollenanforderungen ein. Er sollte sich weiter gut im Wagnerfach entwickeln. Katja Starke war eine ebenso stimmstarke wie attraktive Erda mit einem exzellenten vollen Mezzo und gekonnt sublimem Spiel. Nicholas Folwell, der Mann, der schon die Alte Frau bedrängte, stellte sich als gesangsbetonter, gut phrasierender und fast etwas zu weicher Alberich heraus - ein Wohlklang, sein Bassbariton bei bester Diktion. So sang er auch einen klangvollen Gunther. Er ist ein äußerst erfahrener Sänger aus Großbritannien, der vor allem dort schon lange im Geschäft ist, auch als Alberich. Christian Hübner sang ein ausgezeichneten, kraftvollen Hunding und Fafner mit intelligenter Spielfreude. Er war bei seiner ebenfalls guten Gestaltung des Hagen wegen einer Erkältung etwas indisponiert. Auch hier deutet sich ein junges Wagner-Talent an. Francisco Javier-Borda gab einen gesangsbetonten, fast lyrischen Fasolt, mit leichten Klangverlusten in der Höhe. Die recht körperfüllige Josefine Weber sang eine etwas unkonturierte Sieglinde - in der Höhe bisweilen allzu angestrengt, dazu auch die Gutrune und 3. Norn. Der Stimme fehlt etwas Charakter in der Mittellage. Florian Simson sang einen kräftigen und prägnanten Mime im „Rheingold“. Im „Siegfried“ stieß er an seine Grenzen, aber er machte seine Sache darstellerisch ausgezeichnet. Hanne Roos hatte als Freia gerade mal einen Satz zu singen und war als Woglinde, Ortlinde und Helmwige ansprechend, ebenso wie Cathy van Roy als Wellgunde, Gerhilde und Rossweiße sowie Anna Wall als Flosshilde, Siegrune und Grimgerde, mit gutem Mezzo. Sie sang auch die Alte Frau.
Ein „Rheingold“ ohne vokal starken Wotan und Loge verliert erheblich an Durchschlagskraft. So in Dijon. Der noch relativ junge und gut aussehende Thomas E. Bauer wird im Programmheft als Liedsänger annonciert, und so sang er auch. Er gehört eigentlich eher auf die Mozart-Bühne mit seinem Timbre und stimmlichen Möglichkeiten. Als Wotan und Wanderer sang er ständig über Fach und hatte nur in der Mittellage gute vokale Präsenz. In der „Walküre“ wurde es u.a. mit oftmals glanzlosen Höhen richtig kritisch, die Stimme zeigte klare Ermüdungserscheinungen. Er verlieh dem Wotan aber optisch und darstellerisch einige Würde. Der Loge von Andrew Zimmermann war stimmlich der Rolle nicht gewachsen. Seine kopflastiges Organ hat fast keine Resonanz, und er deklamiert ständig. Auf der stimmlichen Schattenseite der Produktion standen weiterhin Manuela Bress als Fricka, Waltraute, Schwertleite und 2. Norn mit einem abgesungenen und mit starkem Tremolo versehenen Mezzo. Auch der Froh von Yu Chen vermochte stimmlich 7 kaum zu überzeugen, und der Donner von Zakaria El Bahri war selbst mit den wenigen Phasen, die er sang, immerhin nicht das „Hedo, heda, hedo...“, stimmlich völlig überfordert. Der Waldvogel wurde von einigen Sängerknaben gesungen, wenn man das so nennen soll. So poetisch diese Idee auch war, aufgrund der gesanglichen Qualitäten der Burschen geriet sie fast zur Karikatur. Der Mannenchor war auf vier Herren reduziert, die übrigens - welch problematischer Strich - keine Speereide erlebten und später dennoch tatenlos zusahen, wie Hagen mit der Rechtfertigung des Meineids, den hier also niemand gehört hat, Siegfried mordet…
Auch Sabine Hogrefe, die schon im ColónRing 2012 als Gutrune enttäuschte, blieb als Brünnhilde stimmlich weit hinter ihrer Leistung in Detmold vor wenigen Jahren zurück. Zwar hat sie immer noch eine schöne, leicht abgedunkelte und damit charaktervolle und ausdrucksstarke Mittellage. Aber sobald die Stimme dramatischere Herausforderungen zu meistern hat, wie bei den vielen Höhen, die die Brünnhilde nun einmal singen sollte, wird es eng, oft sogar schrill, und am 2. Abend dann oft nur noch laut - und das alles bei kaum vorhandener Wortdeutlichkeit. Im „Siegfried“ wurde auch offenbar, dass ihre Stimmführung nicht immer sauber ist. Dass Hogrefe im Programmheft als „die zweifellos beste Brünnhilde („la plus absolue“) von heute“ angekündigt wird, rief ebenso Erstaunen hervor wie die Tatsache, dass dort Wotan als Bariton, Flosshilde als Sopran, und Fricka als Mezzo-Sopran geführt werden.
Daniel Kawka drirgierte das Orchester der Opéra de Dijon. Er begann das „Rheingold“ mit fast atemberaubenden Tempi, was sich im Prinzip auch in der „Walküre“ und im „Siegfried“ fortsetzte. Die Tempi waren oft einfach zu schnell und nahezu hastig. Man muss natürlich dem Klangkörper zugute halten, dass seine Erfahrung mit Wagner begrenzt ist. Vor diesem Hintergrund wurde dennoch eine insgesamt ansprechende Leistung geboten. Die „Götterdämmerung“ war der musikalisch bei weitem beste Teil der vier Stücke. Es trat endlich eine gewisse Ruhe und Ausgeglichenheit ein, die zuvor oft fehlte. Sehr gut gelangen Kawka hier die großen symphonischen Orchesterzwischenstücke wie der Trauermarsch und das große Finale. In diesem schließt sich immerhin der Kreis des Dijon-„Ring“ sinnhaft: Ein kleiner Junge übernimmt von Brünnhilde nach ihrem Schlussgesang das berühmte Buch der Alten Frau, nachdem sie den von Siegfried übernommenen Ring wieder auf den Buchdeckel geheftet hat. Ist es ein Ende, oder - wahrscheinlicher - der Ausgangspunkt für einen Neubeginn?! Jeder kann es sich selbst vorstellen. Das Schlussbild, obwohl auch nur Anflüge eines Weltenbrandes fehlten, machte jedenfalls starken Eindruck.
Parallel zu diesen drei „Ring“-Zyklen brachte die Opéra de Dijon im Foyer des Auditoriums eine äußerst interessante Ausstellung über Friedelind Wagner mit einer Vielzahl von wirklich beeindruckenden Bilddokumenten. Auch ihre berühmte New Yorker Rede zu Richard Wagners Geburtstag aus dem Exil ist zu hören und zu lesen. Leider gab es dazu keinen Katalog. Löblich ist, dass das Management für junge Besucher äußerst günstige Eintrittspreise ermöglichte. So waren sehr viele junge Leute im Publikum, was ein ermutigendes Zeichen für die Oper ist. Einigen wurde es bei aller Kürzung aber dennoch zu lang, und sie gingen nach der 2. Pause. Schließlich war doch jeder der beiden Abende trotz Kürzungen weit länger als jede normale Oper. Wie schon in Buenos Aires deutete sich auch in Dijon die Quadratur des Kreises jeden Versuches an, den „Ring des Nibelungen“ sinnvoll und musikalisch sowie dramaturgisch akzeptabel zu kürzen. Richard Wagner hat wohl das weitaus meiste richtig gemacht…
Fotos: Gilles Abegg – Opéra de Dijon
Klaus Billand (www.klaus-billand.com)