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HAMBURG: TRISTAN UND ISOLDE - WA am 14.5.2013

0114-48Die Staatsoper Hamburg gedachte des 200. Geburtstags des Bayreuther Meisters Richard Wagner besonders intensiv: Man begab sich unter der Stabführung von Simone Young, Intendantin der Staatsoper Hamburg und GMD der Philharmoniker Hamburg, in einen sog. „Wagner-Wahn“ mit dem Effekt, dass man alle zehn Werke des Bayreuther Kanons innerhalb eines Monats aufführte. Nun befinden sich in diesem in der Tat beeindruckenden Portfolio Inszenierungen aus ganz verschiedenen Momenten der Wagner-Rezeption, und nicht alles ist da gut gelungen, wie beispielsweise der noch recht junge „Ring des Nibelungen“ von Claus Guth. Ihm steht ein sehr viel älterer aber immer noch äußerst sehenswerter „Parsifal“ von Robert Wilson gegenüber, sowie ein interessanter, wenn auch mit ungewohnten Lösungen aufwartender „Lohengrin“ von Peter Konwitschny und dessen „Meistersinger von Nürnberg“.

Zu den älteren Semestern im Wagner-Repertoire zählt in Hamburg auch die Inszenierung von „Tristan und Isolde“ von Ruth Berghaus mit dramaturgischer Unterstätzung durch Sigrid Neef aus dem Jahre 1988, die an diesem Abend bereits ihre 44. Vorstellung erlebte. Das ist eine durchaus hohe Zahl für dieses nicht leicht zu besetzende Musikdrama, das nach Wagner ja nur eine „Handlung in drei Aufzügen“ sein sollte… Ruth Berghaus’ Ästhetik in dieser Inszenierung errang damals großes Aufsehen, als noch der romantisierende Regie- Stil der Everding-Ära im Vordergrund stand. Jene von Ruth Berghaus in Hamburg ist jedoch von einer nahezu vollständigen Abstraktion zwischenmenschlicher Gefühle, insbesondere zwischen Tristan und Isolde, gekennzeichnet. Das war damals wohl der Beginn eines neuen, 1993 auch in Bayreuth von Heiner Müller mit seinem ebenfalls gefühls-abstrakten „Tristan“ aufgegriffenen Topos, ganz zu schweigen vom zumindest im Premierenjahr 2005 noch emotionsentleerteren „Tristan“ von Christoph Marthaler ebendort. Interessant ist jedoch, dass beide Regisseure später mit Überarbeitungen etwas „zurückruderten“ und doch einiges an menschlichen Gefühlen zwischen den beiden Protagonisten zuließen… Nicht so Ruth Berghaus: Hier wird die gesamte Handlung durchaus eindrucksvoll in die Metaphysik einer stellaren Konstellation erhoben.

Es beginnt gleich zum Vorspiel im Bühnenbild von Hans-Dieter Schaal sowie in den Kostümen und Requisiten von Marie-Luise Strandt mit einigen im grau-schwarzen Raum schwebenden Planeten und endet auch wieder so. Denn statt einen Liebestod zu sterben, umarmt Isolde den größten dieser Planeten zu den Schlusstakten gewissermaßen - die Liebe Tristans und Isoldes als ultimatives und über alle vermeintliche und tatsächliche menschliche Gefühls-Banalität erhabenes Existenzgefühl, unverständlich dem normalempfindenden Liebenden… Was dazwischen passiert, bleibt nicht nur diesem bisweilen etwas unverständlich, aber es ist vor dem metaphysischen Hintergrund zumindest nachvollziehbar. So gibt es zwischen Tristan und Isolde trotz einer sich doch steigernden Auseinandersetzung im 1. Aufzug fast keinen Blickkontakt, obwohl er schon viel früher als in manch anderer „normaler“ Inszenierung bei ihr ist. Und zwar in einem Liegestuhl, ganz gemütlich gleich neben der räsonierenden Isolde. Liegestühle, von der Schiffsmannschaft wie Umhänge bewegt und immer wieder umgeräumt und davon getragen, sorgen fast für das einzige bewegte Leben an Bord, bisweilen auch durchaus nervend - alles andere ist eher kontemplative Beschäftigung mit sich selbst und der Vergangenheit. Immerhin lässt Berghaus Tristan zusammenbrechen, als er erkennt, dass die Sühne für Morolds Tod noch aussteht. Dessen Rüstung hat Isolde wie ein Mahnmal für die Reise an den Mast genagelt… Als König Marke kommt, haben es sich beide nach einem koketten Spielchen um das Fläschchen Liebetrank in den Liegestühlen bequem gemacht.

0114-49Berghaus will ganz offenbar Statuarik, Kontrolle von Gefühlen, ja gar eine Art von völliger Entemotionalisierung. Die erreicht wohl ihren kaum noch verständlichen Höhepunkt, als Isolde im Schlussaufzug zu Tristan kommt, der gerade in einem Kahn, den Kurwenal zuvor sinnlos davonzurudern versucht hat, im Sterben liegt, und sich sichtlich ungeachtet seines Schicksals vor ihn setzt. So ganz nebenbei hatte es eigentlich auch Richard Wagner anders gesehen. Aber bitte, Ruth Berghaus ist in ästhetischer Hinsicht einfach unbestechlich… Auch die im 2. Aufzug normalerweise stattfindende Verwundung Tristans wird uns vorenthalten. Alle Beteiligten bewegen sich in einer Art Tanz in eine langsam rotierende Turbine hinein, die vielerlei Assoziationen zulässt - das Räderwerk des Lebens, der Mahlstrom der Zeit, was auch immer. Offenbar soll jede physische Aktion und schon gar Gewalt verhindert werden - das Ergebnis ist eine gewisse dramaturgische Langeweile.

Die bewährte Linda Watson singt eine starke Isolde, die genau weiß, was sie will und in ihrer Darstellung viel Persönlichkeit entwickelt. Sie schafft alle Höhen der Partie problemlos, auch die beiden hohen Cs gleich hintereinander im 1. Aufzug. Sie singt die Rolle vorwiegend mit ihrem hochdramatischen Aplomb, ganz anders als wenige Tage später Marion Ammann in der NI in Helsinki. Watsons etwas statuarische Art der Darstellung passt bestens zum gefühlsarmen Regiekonzept von Ruth Berghaus. Stig Andersen kann mit seinem größten Plus, seinem bemerkenswerten Charisma, in eben dieser Inszenierung nicht gerade punkten. Er hat immer wieder noch seine bekannten heldentenoralen Qualitäten. Man merkt aber immer mehr, dass ihm das Erreichen der Spitzentöne einen großen Kraftzoll abverlangt, der ihn gerade im 3. Aufzug an die Grenzen seiner stimmlichen Möglichkeiten bringt. Der Tristan wird wohl zu einer Grenzpartie für ihn. Peter Rose singt einen voluminösen und souveränen König Marke. Bo Skovhus ist ein emotional engagierter Kurwenal - er darf es als einziger wohl bei Berghaus auch sein - und spielt die Rolle mit großer Emphase und seinem ebenso klangvollen wie facettenreichen Bassbariton. Katja Pieweck ist eine gute aber noch nicht überragende Brangäne. Peter Galliard als Melot, Jun-Sang Han als Hirt und Stimme des jungen Seemanns sowie Szymon Kobylinski als Steuermann ergänzen ansprechend das Ensemble. Auch der von Janko Kastelic einstudierte Chor ist engagiert bei der Sache.

0114-50Simone Young war es wohl ein besonderes Anliegen, in ihrer letzten Saison in Hamburg noch einmal den ganzen Wagner zu spielen, und man merkte ihr das große Engagement für dieses Mammutprojekt an. Sehr schön getragen und zu den metaphysischen Bildern passend ließ sie die Philharmoniker Hamburg das Vorspiel zum 1. Aufzug musizieren. Sie dirigierte im weiteren sehr sängerfreundlich, oft etwas zurückhaltend, konnte aber in den dramatischeren Passagen durchaus eine gute Dynamik bei weiterhin großer Transparenz der Gruppen sicherstellen. Musikalisch machte dieser Tristan einiges von dem gut, was man emotional auf der Bühne vermisste. Gleichwohl wird diese Inszenierung wohl wie ein Vermächnis von Ruth Berghaus, vielleicht auch nicht ganz zu Unrecht, noch länger im Repertoire in Hamburg bleiben.

Fotos: Brinkhoff/Mögenburg (Turbine) und Klaus Billand

Klaus Billand (www.klaus-billand.com)