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SOFIA: DER RING DES NIBELUNGEN - 22. bis 29.6.2013

Richard Wagner war Zeit seines Lebens nie in Bulgarien, und die Sofia Oper und Ballett hatte bisher auch keine nennenswerte Wagner-Erfahrung und schon gar keine Wagner-Tradition. Im Gegenteil: nach dem Untergang der Sowjetunion wurden die staatlichen Zuschüsse erheblich gekürzt, und es gehörte viel Engagement und Liebe aller Aktiven dazu, den Betrieb mit einem interessanten künstlerischen Angebot aufrecht zu erhalten. Dennoch geschah im Juni weitab vom Wagnerschen Mainstream Bayreuths, Salzburgs, Münchens und anderer Großstädte Europas, der USA und mittlerweile auch Südamerikas etwas ganz Außerordentliches - und man kann es mit Fug’ und Recht so sagen. Wagners opus magnum, „Der Ring des Nibelungen“ wurde nach dem Beginn mit „Das Rheingold“ 2010 und der Premiere der „Götterdämmerung“ (zielgerecht am 22. Mai) Ende Juni zur Feier des 200. Geburtstags des Bayreuther Meisters in nur acht Tagen zyklisch aufgeführt! Und das ausschließlich mit bulgarischen Sängern und Sängerinnen, ja abgesehen vom Dirigenten Erich Wächter und dem Musikberater Richard Trimborn auch von einem komplett bulgarischen Produktionsteam. Und es war nicht nur der erste „Ring“ in Bulgarien, sondern auch der erste auf dem ganzen Balkan. Mit dem, was dort zu sehen und zu hören war, hat Sofia in der Wagner-Welt nachdrücklich auf sich aufmerksam gemacht.

Es gelang ein ganz großes und in sich stimmiges Projekt, und um ein solches gegen alle Schwierigkeiten finanzieller, organisatorischer und auch künstlerischer Art zu realisieren, bedarf es in aller Regel einer starken Persönlichkeit mit einer Vision und einem unbeugsamen Durchsetzungswillen. Diese war in Sofia Acad. Plamen Kartaloff, seit Jahren Direktor der Sofia Oper und Ballett, der die Idee zu diesem Projekt hatte und es auch als Regisseur realisierte. Er ging es äußerst beherzt und mit dem Wunsch an, den „Ring“ dem Sofioter Publikum, und zumal dem jungen, verständlich zu machen, ihm jede Scheu vor Wagner zu nehmen. Er wollte diesem Publikum, das den „Ring“ zum weitaus überwiegenden Teil noch nie erlebt hatte, die Geschichte erzählen, aber mit unkonventionellen Mitteln des Operntheaters in seinem besten Sinne, die gleichwohl genügend Raum für Assoziationen und eigene Interpretationen zuließen.

Dazu suchte Kartaloff einen Künstler für die szenischen Lösungen und Kostüme, der kein Bühnenbildner war, also völlig vorurteilslos, aber fantasievoll an diese neue Aufgabe heranging. Er fand den kongenialen bulgarischen Maler Nikolay Panayotov, der ihm einige wenige universal und in immer neuen Variationen zu präsentierende Bühnenbild-Elemente entwarf. Das waren im wesentlichen ein großer, aus zwei bühnenbreiten Hälften bestehender und damit beliebig variationsfähiger Ring, sieben kegelförmige Konusse in verschiedenen Größen, und eine Art Mandorla. Minimalistische Elemente, reduziert auf wesentliche symbolische Bedeutungen, die aber eine Vielzahl von Inhalten, Visionen und Assoziationen ermöglichten. Kartaloff setzt sie in ständiger Variation dramaturgisch ein, wobei das Multimedia Design von Vera Petrova und Georgi Hristov sowie die exzellente Lichtregie von Andrej Hajdinjak eine ganz entscheidende Rolle spielen. So symbolisieren die sieben Konusse immer wieder die Zinnen von Walhall, sie erhellen das Rheingold oder symbolisieren später die Köpfe der Luftrosse, auf denen die Walküren in einem umwerfend lebendigen und stimmungsintensiv gestalteten Walkürenritt reiten. Der Ring lässt sich etwa wie die gebrochene Scheibe der Neu-Bayreuther „Ring“-Produktionen in Segmente aufteilen, sodass einmal Dissonanz, ein anderes Mal Harmonie gezeigt werden kann, aber auch erotische Assoziationen möglich werden. Dabei hilft eine beachtliche Bühnenhydraulik, die Bild- und Szenenwechsel in wenigen Augenblicken ermöglicht, ohne dass sich der Vorhang schließen muss. Auch so werden ständig Spannung und Dynamik aufrecht erhalten. Es gelingt Plamen Kartaloff, mit den Bildern und den fantasievollen, bisweilen an einen fantastischen Realismus bis Pop-Art erinnernden Figurinen Payanotovs und dem facettenreichen Multimedia-Design den Mythos des „Ring“ mit einer nahe an Wagners Regieanweisungen operierenden Dramaturgie und ausgefeilten Personenregie bei gleichzeitig großem Unterhaltungswert zu verbinden. Farbintensive und eindringliche Bilder, immer wieder von Retrospektiven, auch in Form von Statisten, die Personen der vergangenen Handlung darstellen, durchsetzt, tun sich vor uns auf, vieles in dieser Form noch nie so gesehen. Selbst in manchmal langatmig wirkenden Szenen verliert die Inszenierung nicht an Spannung, Frische und Lebendigkeit. Dabei stehen für Kartaloff immer die Menschlichkeit an sich und die Gefühlswelt der Akteure im Vordergrund, aber auch poetische Momente, ganz so, wie es bei Wagner in der Musik des „Ring“ zu hören ist...

Und alle Bilder stehen in engstem Kontakt mit der Musik. Dazu entwickelte Kartaloff ein Scoreboard mit dem Ziel, niemals Langeweile aufkommen zu lassen und auch die langen Szenen mit ständigem Leben zu erfüllen. Die visuelle Gestaltung im Rahmen dieses Scoreboards entwickelte er konsequent aus der Partitur heraus, wobei er nicht die geringsten Probleme beim Notenlesen hat - eine conditio sine qua non für eine solche Herangehensweise und nicht mehr selbstverständlich für heutige „Ring“-Regisseure... Kartaloff zeigte mir die „Ring“-Partitur voller Bleistiftanmerkungen Takt für Takt, sowie parallele Aufzeichnungen, wie die jeweilige Szene schließlich auf der Bühne optisch und dramaturgisch umgesetzt werden könnte. Dies ist das eigentliche Geheimnis seiner Arbeit, die zum großen Erfolg der Produktion beim Publikum führte, obwohl es keine solch langen Opernaufführungen wie die drei Hauptwerke des „Ring“ bis dahin gewohnt war. Hier ging niemand in den Pausen nach Hause. Stattdessen gab es manchmal Szenenapplaus!

Auch bei den bulgarischen Sängern und Sängerinnen gab es kaum Ausfälle, die meisten gestalteten ihre Partien sehr versiert und emphatisch, viele sangen sie auch sehr gut. Richard Trimborn und Velizar Genchev hatten sie offenbar erfolgreich in gutem Deutsch und der entsprechenden Musikalität unterwiesen. Einige Protagonisten empfahlen sich für größere, auch internationale Aufgaben. Für die meisten handelte es sich dennoch bei Wagner um völliges Neuland, hatten sie doch bis dahin vornehmlich das italienische und russische Fach gesungen. Das intensive casting brachte 53 SängerInnen für diese „Ring“-Produktion hervor. Unter den ProtagonistInnen sind folgende hervorzuheben: Nikolay Petrov mit seinem ausdrucksstark agierenden „Rheingold“-Wotan, der auch über einen profunden Bassbariton verfügt; Martin Tsonev als „Walküre“-Wotan und Wanderer mit einem geschmeidigen und höhensicheren Bassbariton, der nur in der Mittelage etwas mehr Fülle haben könnte; Martin Iliev als heldischer und auch so aussehender Siegmund und „Götterdämmerung“-Siegfried mit viril und abgedunkelt timbriertem Heldentenor, der sich mit verbesserter Technik im Wagner-Fach sicher noch stark weiter entwickeln kann. Ebenso beeindruckend war die stimmliche und darstellerische Leistung von Kostadin Andreev als jungem Siegfried, der diese Mammutrolle mit enormer Intensität und stimmlicher Präsenz verkörperte. Sein klangvoller heldischer Tenor ist bei gutem baritonalem Fundament zu blendender Höhe ebenso wie zu zartem Legato fähig - ebenfalls ein großes Talent, das noch etwas an der Stimmkultur arbeiten sollte. Die aus der Mongolei stammende Bulgarin Bayasgalan Dashnyam überraschte in der „Walküre“ gleich mit einem eindrucksvoll gesungenen „Hojotoho“ und darauf mit ihrer warmen Mittellage, stimmlichem Ausdruck und guter Höhe bei bester Diktion. Mariana Zvetkova konnte hingegen nur im „Siegfried“ mit ihrem jugendlich dramatischen Sopran und großer Wortdeutlichkeit überzeugen. Als Brünnhilde in der „Götterdämmerung“ schien sie überfordert, denn sie sang ständig zu laut und eintönig, ebenso wie Tsveta Sarambelieva als Waltraute in der „Götterdämmerung“. Angel Hristov war ein zombihaft wirkender finsterer Hunding mit prägnantem Bass, Petar Buchkov ein stimmstarker Hagen und Fafner. Daniel Ostrotsev sang einen Loge mit stabilem Tenor.

Biser Georgiev konnte als Alberich zwar durch eine intensive Charakterstudie beeindrucken, war stimmlich bei begrenzter Klangbildung in der Höhe und nicht allzu großer Tiefe aber nicht ganz ausgewogen. Plamen Papazikow sang einen ansprechenden Mime, während die Fricka von Rumyana Petrova mit ihrem kehligen und leicht verquollenen Mezzo stimmlich einiges schuldig blieb. Auch Tsvetana Bandalovska war mit der Sieglinde in ihrem stimmlichen Grenzbereich. Der noch sehr junge Atanas Mladenov war ein guter Gunther mit schlankem aber kultiviertem Bariton und Mariyana Panova eine gute Gutrune. Stimmlich unzureichend mit einem kehligen, relativ klanglosen und mit zu wenig Tiefe versehenen Mezzo sang Blagovesta Mekki-Tsvetkova die Erda und Schwertleite. Bei der großen Mehrheit der weiteren Rollen und Nebenrollen war Gutes bis sehr Gutes zu hören. Der von Violeta Dimitrova ansprechend einstudierte Chor in der „Götterdämmerung“ klang aufgrund seiner Positionierung weit hinten auf der Bühne etwas leise, beeindruckte aber optisch durch seine Referenz an den Film von Alfred Hitchcock „Die Vögel“, die dort ja auch nichts Gutes bedeuten…

Unter der Stabführung des erfahrenen Detmolder „Ring“-Dirigenten Erich Wächter kam mit dem eben nicht allzu Wagner-erfahrenen Orchester der Oper ein gutes musikalisches Ergebnis zustande. Es war deutlich zu hören, dass Wächter mit dem Ensemble lange und nachhaltig geprobt hatte und schon über die Erfahrung mit der „Götterdämmerung“ in Sofia verfügte. Sicher gab es hier und da kleinere Wackeleien, aber die große Investition, die Plamen Kartaloff in die Anschaffung neuer Instrumente für diesen „Ring“ gemacht hatte, und die sichere Führung des Orchesters durch Erich Wächter zahlten sich mit einem insgesamt sehr beeindruckenden Wagner-Sound aus. Auch in den großen Orchesterzwischenspielen war stets innere Dramatik und große Tansparenz in den Gruppen gegeben, es wurde nie zu laut. Dazu konnte Wächter durchgehend engen Kontakt zwischen Bühne und Graben herstellen und nahm auch viel Rücksicht auf die SängerInnen.

Wie stark der Teamgeist hier entscheidend am Erfolg beteiligt war, zeigt die Tatsache, dass das Orchester nach jeder der vier Aufführungen geschlossen auf die Bühne kam und mit dem gesamten Ensemble und dem Regieteam den Applaus entgegen nahm. Der „Ring“ von Sofia steht im Hinblick auf die Art und Weise, wie er über konzeptionell Jahre reifte und entstand und mit seiner gesamten Ästhetik in diametralem Gegensatz zu der Neuinszenierung von Frank Castorf in Bayreuth. Beide Produktionen sind in diesem Heft besprochen. Vielleicht können diese beiden Besprechungen dazu anregen nachzudenken, worauf es in Wagners „Ring des Nibelungen“ wirklich ankommt…

Klaus Billand, Wien (www.klaus-billand.com)

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