Immerhin war es der 199. Geburtstag von Richard Wagner. Und so ging mancher vielleicht mit etwas überhöhten Erwartungen auf einen bemerkenswerten Repertoire-Abend ins Haus am Ring - allein es wurde keiner. Der Schlussapplaus, obwohl man sich manchmal auch schon in Wien wundern muss, wie undifferenziert der Applaus bisweilen verteilt wird, dauerte kaum mehr als drei Minuten. Man schaffte nicht mal einen zweiten Einzelvorhang! In der mittlerweile auch schon etwas lieblos vernachlässigten Mielitz-Inszenierung, die ich noch für die beste ihrer Arbeiten an der Staatsoper halte, obwohl einiges von ihrem Lehrer Harry Kupfer im wahrsten Sinne des Wortes „abgekupfert“ erscheint, kam nicht die einst bei Falk Struckmann und Nina Stemme erlebte Spannung und Handlungsdichte auf. Die USamerikanische Sopranistin Jennifer Wilson, die seit Jahren im hochdramatischen Fach singt, u.a. alle Brünnhilden im Valencia-„Ring“ 2009 (Online-Merker berichtete) und auch die Brünnhilde in der DOB „Walküre“ in Berlin 2011 et al., also keineswegs eine neue Hochdramatische ist, enttäuschte als Senta mit ihren forcierten und schrillen Spitzentönen, denen keine wirklich ausgewogene Mittellage und erst recht keine guten Piani gegenüber stehen. Auch darstellerisch vermochte Wilson in keinem Moment tatsächlich glaubwürdige Empathie in die Rolle zu bringen, wie es Nina Stemme und andere nach ihr am Ring großartig verstanden. Wilson ist mit dieser Leistung sicher keine Option für die Brünnhilde in Bayreuth.
Albert Dohmen ist weiterhin ein guter Holländer, hat auch darstellerisch an Gewicht gewonnen, obwohl das nie seine Stärke war, auch nicht als Wotan. Die Stimme ist gut in der Mittellage, verfügt auch über eine profunde Tiefe. Allein in der Höhe verfestigt sich die Klangbildung erheblich und verflacht etwas. Gerade noch hat er den König Heinrich mehrmals im Berliner „Lohengrin“ an der DOB gesungen (Online-Merker berichtete) - singt er vielleicht zuviel?! Den Eindruck hatte man bei Ain Anger, der den Daland zwar souverän gestaltete, aber mit einer deutlich ermüdeten Stimme sang. Es fehlte bei ihm diesmal die Klarheit und Prägnanz, mit der in Rollen wie Fasolt, Fafner und anderen überzeugt. Seine Stimme klang an diesem Abend etwas hohl.
Endrik Wottrich, der Premieren-„Parsifal“ in Bayreuth 2004 und Siegmund in der Dorstschen „Ring“-Produktion 2006 ebenda, gab nach seiner Absage in der ersten Aufführung dieser Serie sein Rollendebüt als Erik an der Staatsoper. Er hat zweifellos großes Material mit tenoralem Schmelz. Allein, wie schon an vielen Abenden in anderen Produktionen zu erleben, wirkt die Stimme zu halslastig und öffnet sich nicht, entwickelt keinen Glanz. Die Spitzentöne im Finale mit Senta klangen gepresst. Die baritonale Grundfarbe macht jedoch Wottrichs Timbre durchaus attraktiv. Norbert Ernst überzeugte als Steuermann einmal mehr mit seinem schlanken und kultivierten Tenor, der jedoch noch weit vom Siegfried entfernt ist, falls er diesen jemals ins Auge fassen sollte. Monika Bohinec war eine einwandfreie Mary.
Die stärksten Momente hatte die Aufführung in den Chorszenen, die wieder großartig gelangen und immer noch von der guten Choreographie der Premierenserie zehren. Besonders stark der brachiale Einbruch des Holländer-Chores in die Gruppe der Norweger im 3. Akt unter Rotlichtverstärkung. Dabei ist aber umso weniger einzusehen, warum seitlich einige der an sich chaotischen Kapuzenmänner allzu geordnet die über den Haufen geworfenen Stühle entsorgen müssen. Eine TÜV-Vorschrift - Stolpergefahr?! Auch die weiterhin entbehrlichen Mielitzschen horizontalen Rudelbegattungsversuche in Seemanns-Lederhosen und Petticoats wirken in der nun schon 46. Reprise auch nicht ansehnlicher und noch weniger überzeugend, eher wie eine lästige Pflichtübung. Das sollte man künftig getrost weglassen, es trägt in nichts zu einer besseren Darstellung des Ganzen bei. Das Ende wirkt allzu routiniert, wenn Senta 2 ganz anders als in der Premiere nun wie gelangweilt durch den Feuersaum per Aufzug in die Tiefe fährt. Kein Wunder, dass der Holländer damit nicht erlöst wird. So steht er am ende in seinem rot erleuchteten Fertighäuschen im Hintergrund, während der wahre Holländer sich mit den anderen Mannen identitätslos vor Sentas "Flammentod“ zu Boden geworfen hat. Eine Überarbeitung tut Not…
Graeme Jenkins legte schon in der Ouvertüre mit dem zwar beherzt, aber in den Tutti oft etwas zügellos und zu laut aufspielenden Orchester der Wiener Staatsoper schnelle Tempi vor. Am meisten konnte er in den ruhigeren und kontemplativen Passagen des 2. Aktes überzeugen. Gerade Albert Dohmen litt unter dem manchmal zu lauten Dirigat. Insgesamt ein allenfalls durchschnittlicher Repertoire-Abend an der Staatsoper.
Klaus Billand (www.klaus-billand.com)